Vom Homo Destructor zum Homo Constructor


Das neue Buch von Werner Bätzing

Im Jahr 2023 hat der C. H. Beck -Verlag ein Buch herausgebracht, in dem Werner Bätzing mit tiefgreifendem Fachwissen erklärt, dass die Zerstörung der Umwelt schon mit dem Erscheinen des der Homo sapiens ihren Anfang nahm. Werne Bätzing ist ein nicht nur den Geographen bekannter Fachmann für Fragen des Alpenraumes und des Landlebens. Er hat mit seinem 463 Seiten starken, fast schon enzyklopädische Opus Magnum ein Werk geschaffen, das zu lesen und zu verinnerlichen für verantwortungs- und umweltbewusste Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung, Planungsbüros und NGOs ein „Muss“ ist. Nicht weil Bätzing nun endlich die ersehnten Wahrheiten zum richtigen Umgang bzw. zur Heilung der gestörten Mensch-Umwelt-Beziehung verkünden würde, sondern weil er Zweierlei bietet: einerseits ein schier unendliches und für den Leser vielfach neues Hintergrund- und Zusammenhangswissen über den geschichtlichen Bogen von der Entstehung des Menschen bis zur Jetztzeit über viele Epochen hinweg. Er vermittelt zudem viele sehr eigene oder gar eigenwillige Erklärungen und Meinungen, die sicher zu Widerspruch reizen. Widerspruch ist aber erst dann weiterführend, wenn man sehr genau die exzellenten Begründungen von Bätzing kapiert hat. Denn Bätzings Argumentation verrät stets seine umfassende Bildung und Ausbildung in Philosophie, Didaktik, Naturwissenschaft, Theologie, Handwerk und Literatur.

Wenn man sich diesem gewaltigen Buch nähert, ist man erst einmal überrascht und staunt, welchen Mut der Autor aufgebracht hat, die Geschichte von der Entstehung des Menschen bis in die Jetztzeit zusammenzufassen. Dazu werden methodische Vorüberlegungen in 9 Kapiteln sehr detailliert, didaktisch hervorragend aufgezeichnet, gespickt mit vielen Querverweisen bis hin z.B. zu Jan Assmanns Achsenzeiten. Man lernt sehr viel und würde es fast jedem Lehrer wünschen, dieses Buch für den Unterricht zu verwenden. Was aber die Leser dieses Buchs besonders interessieren dürfte, ist natürlich seine Haltung zur gewaltigen Umwelt- und Klimaveränderung und zu den Vorschlägen, die er daraus in Kapitel 10 entwickelt. Er räumt dabei u.a. mit den gängigen Rezepten des nachsorgenden Umweltschutzes (End of Pipe-Policy ) ebenso auf , wie er sich auch der populären Idee entgegenstellt,  es genüge doch , wenn man (nur) einen bestimmten Prozentsatz von Fläche für den Naturschutz völlig freistelle. Warum ein Nein? Weil man dadurch den schädlichen Intensivierungsdruck auf den restlichen Flächen nur noch erhöhe.

Zu den eher stabilen und umweltfreundlichen Jäger und Sammler – oder zu den egalitären Bauerngesellschaften  können wir nicht mehr zurückgehen, aber  Grund- oder Überlebensprinzipien  aus diesen Epochen sollten wir schon übernehmen bzw. beherzigen: Gemeinschaft statt von der Aufklärung zu stark geförderte Individualität,  gemeinschaftliche Werte und Leitideen des Maßhaltens und eine davon beeinflusste aktive Gestaltung (nicht Anpassung) der Natur haben diesen Epochen und den nachfolgenden bis hinauf zur Industriegesellschaft einigermaßen Stabilität verschafft. Der Bruch kam erst mit der global grenzenlosen und unverändert wachstumsorientierten, deshalb auch besonders umweltschädlichen Dienstleistungsgesellschaft. Dazu Bätzing: „Es liegt am Menschen selbst! Indem er davon ausgeht, dass ihm die gesamte Welt unmittelbar zur Verfügung steht und er all seine Möglichkeiten ins Unendliche perfektionieren kann, wird er zum Homo Destructor,  und er macht aus seiner lebendigen vielfältigen und attraktiven Lebenswelt eine rein funktionale , sterile und lebensfeindliche Welt , die zugleich alle natürlichen Grundlagen ihrer Existenz zerstört.“

Als Angehöriger der Nachkriegsgeneration ist man sehr betroffen, dass ausgerechnet ab den 1950er Jahren die Umweltzerstörung besonders maßlos wurde, d.h. dass unser heutiger Wohlstand ab dieser Zeit teuer erkauft wurde.

Ob wir so weitermachen können fragt sich der Leser nach Lektüre dieses Buches? Wohl nein, denn Bätzing legt noch einen drauf riskierend, dass ihm Kassandravorwürfe entgegenhallen werden: „Die Menschheit führt ein gigantisches Realexperiment mit der gesamten Erde durch, dessen Ausgang völlig ungewiss ist, und bei dem es keinen verantwortlichen Experimentator gibt, der das Experiment abbricht, wenn es problematisch wird.“ Wie wir es ja seit Jahren leidvoll miterleben, sind Vereinten Nationen zu schwach, hier korrigierend einzugreifen. Bätzing vermutet gar, dass angesichts dieses Vabanquespieles bereits in den nächsten 30 Jahren ein großer Teil der Erde für den Menschen unbewohnbar sein dürfte.

Die Senioren der Nachkriegsgeneration und die junge Generation (wohl auch die von ihm nicht erwähnte Friday for Future-Bewegung oder die Klimaaktivisten) müssen nun gemeinsam die Kraft aufbringen, zu retten, was zu retten ist. An eine langsame Transformation oder plötzliche Revolution mag Bätzing ebenso wenig glauben wie an Patentrezepte, technokratische Lösungen oder gar Ökoromantik. Er bezieht sich auf große Denker wie Darwin, Marx und Freud und stemmt sich gegen zu viel Vernunftdenken, anstatt zu akzeptieren, dass der Mensch ein Wesen ist, dessen Bedürfnisse weit über zweckrationale und „vernünftige“ Zielsetzungen hinausgehen. Er setzt auf Aktivität statt auf Anpassung, auf den Einzelfall statt auf allgemein geltende Prinzipien, auf das richtige Maß als Leitidee der Selbstbegrenzung sowie auf die in bäuerlichen Gesellschaften praktizierte ökologische Reproduktion der Kulturlandschaften.

Abschließend macht Bätzing einige praktische Vorschläge, die schon in seinem Buch „Das Landleben“ für Experten des Landentwicklung bereits bekannt sind und zum Teil nur begrenzt realisierbar erscheinen.

Fazit

Das Buch löst einen geistigen (weil fachlich einsichtig) und moralischen (weil jeder mitverantwortlich ist) Appell an den Leser aus, darüber nachzudenken, wie er oder sie in Bürger – und Verantwortungsgemeinschaften in den einzelnen Dorf-, Stadterneuerungs- und Landentwicklungs­prozessen einen konstruktiven, realisierbaren Beitrag als Homo Constructor und nicht als Homo Destructor leisten kann!

Prof. Dr. Holger Magel

Ehrenpräsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum

Literaturangabe

Bätzing W. (2023) Homo Destructor. C.H.Beck Verlag, München