Wassergerechtigkeit für Stadt und Land

„Wassergerechtigkeit für Stadt und Land“ war das Thema des bewährten gemeinsamen Sommerkolloquiums der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung (Holger Magel und Silke Franke) im Konferenzzentrum München am 10. Juli 2023. Ein Thema, das aktueller nicht hätte sein können.

Was passiert, wenn das Wasser knapp wird, für Natur und Landwirtschaft, für Industrie und Energieversorgung, für Feuerwehr und Schwimmbäder – und nicht zu vergessen: Unser Trinkwasser? Der Klimawandel ist hier und jetzt spürbar. Es wird wärmer und trockener. In Europa haben sich die Temperaturen sogar schneller erhöht als im globalen Durchschnitt. Vergangenes Jahr rief Italien in mehreren Regionen den Notstand aus, weil das Wasser knapp wurde und rationiert werden musste. Laut Deutschem Wetterdienst erlebte Bayern 2022/2023 den zwölften zu warmen Winter in Folge und vielerorts hat es auch zu wenig geregnet, insbesondere in Nordbayern. Wir merken auf einmal wieder, wie wichtig das „Blaue Gold“ ist, es ist unser Lebenselixier.

Dr. Rimböck, Bäuml, Braun, Prof. Dr. Auerswald, Prod. Dr. Pauleit, Franke, Felßner, Prof. Dr. Magel, Prof. Dr. Schneider, Prof. Dr. Grambow

Zugesagt hatten u.a. Prof. Dr. Grambow, Leiter der Abteilung Wasser im Bayerischen Umweltministerium, Günter Felßner, Präsident des Bayerischen Bauerverbandes und Dr. Juliane Thimet, Wasserexpertin des Bayerischen Gemeindetags, und Gunnar Braun, Geschäftsführer VKU Landesgruppe Bayern sowie weitere Experten aus Wissenschaft und Praxis…

Vortragsfolien

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Hinweis: Wir planen bis Herbst mit den Vortragenden eine Publikation

Vortragsfolien/ Skripte (sofern vorhanden und freigegeben)

Prof. EoE Dr.-Ing. Holger Magel, Ehrenpräsident Bayerische Akademie Ländlicher Raum
Einführung: „Wassergerechtigkeit ist ein Gebot der Räumlichen Gerechtigkeit und gleichwertiger Lebensbedingungen“
Skript  23-07-10 Wasser_Magel_web

Dr.-Ing. Andreas Rimböck, Leiter Abteilung Wasserbau, Hochwasserschutz, Gewässerschutz, Bayerisches Landesamt für Umwelt:
„Schwammstadt“
Vortragsfolien   2023_07_10_Wasser_Rimboeck_web

Prof. Dr.-Ing. Jörg E. Drewes, Siedlungswasserwirtschaft, TU München.
„Wassereffizienz – Nutzwasser als alternative Wasserressource“
Vortragsfolien 23-07-10 Wasser_Drewes_web

Dr. Juliane Thimet, Stellvertreterin des Geschäftsführenden Präsidialmitglieds, Referat Wasserrecht, Bayerischer Gemeindetag
„Wasserschutzgebiete“ und „Wasserentnahmeentgelt“
Vortagsfolien 23_07_10_Wasser_Thimet_web

Impressionen

Prof. Dr. Auerswald, Prof. Dr. Drewes, Prof. Dr. Magel, Dr. Thimet, Felßner, Franke, Braun, Prof. Dr. Grambow, Bäuml

Statements (nicht wortwörtlich, aber sinngemäß zusammenfassend – SF)

Part Gerechtigkeit

„Der Klimawandel ist nicht zu leugnen. Europa erwärmt sich im globalen Vergleich sogar schneller als andere Regionen. In Deutschland galt die Versorgung mit Wasser lange als selbstverständlich. Das ist nicht mehr so, angesichts Hitze und Dürreperioden. Wie das Recherchenetzwerk Correctiv ermittelt hat, stieg in den vergangenen zehn Jahren die Zahl jurstischer Auseinandersetzungen um die Ressource Wasser. Zeitunsgmeldungen zeigen, dass es Konflikte zwischen den verschiedenen Wassernutzern, den unterschiedlich stark betroffenen Regionen und in der Verantwortungsteilung von Stadt und Land geben kann“ (Silke Franke, Referentin Hanns-Seidel-Stiftung, Geschäftsführerin der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum)

„Auch bei der Wassergerechtigkeit – immer basierend auf global gültiger Menschenwürde und Menschenrechten – geht es um die vier Gerechtigkeitsdimensionen Chancen-, Verteilungs-, Verfahrens- und Generationengerechtigkeit. Schlagzeilen wie „Wasserkraftbetreiber oder Fischzüchter. Wer hat Vorrang?“ (7.7.2023, in BR 24) verdeutlichen die Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Wenn Lobbygruppen versuchen, sich im Landesentwicklungsprogramm Vorrang bei der Grundwassnutzung zu sichern, ist das ein Beispiel für Verfahrensgerechtigkeit. Wenn es gar um das Tiefengrundwasser geht, geht es auch um Generationengerechtigkeit. Chancengerechtigkeit wiederum können mit den Anpassungsstrategien verbunden werden. Wir sind gut beraten, wenn wir die notwendigen Strategien und Maßnahmen nach einem allgemeingültigen Maßstab – dem Maßstab der Gerechtigkeit – ausrichten.“  (Prof. EoE Dr.-Ing. Holger Magel, Ehrenpräsident BayALR)

„Die Grundwasserstände sinken wesentlich schneller als selbst das pessimistischste Szenario prognostiziert hatte. Wir erleben eine Schicksalsstunde der Wasserwirtschaft. Wo Wasser fehlt, fehlt es an Lebensgrundlage.  Der Mensch hat dank technischer Möglichkeiten die Umwelt so stark beeinflusst, dass wir vom Menschenzeitalter, vom Anthropozän nach Paul Crutzen, sprechen. Wir müssen die Technologien weiterentwickeln, um die entstandenen Schäden zu rerparieren. Aber Technik ist nicht alles: wir müssen auch die Selbstregulierung der Natur wieder zulassen. Wasser muss in der Landschaft bleiben, etwa durch Renaturierung der Moore“. (Prof. Dr.-Ing. Martin Grambow, Leiter Abteilung Wasserwirtschaft u. Geologie, Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz)

„Wasser braucht jeder, Wasser ist daher aus gutem Grund ein Gemeingut und kein Wirtschaftsgut! Ein Menschenrecht auf Wasser gibt es allerdings erst seit 2010. Dieses soll einen fairen und gerechten Zugang zu sauberen Wasser gewährleisten. Tatsächlich ist der Zugang zu Wasser ungleich verteilt. Wenn die Ressource knapp wird, keimt die Idee auf, die Menge zu budgetieren und wer Wasser nutzt, soll dafür zahlen – wer mehr nutzt, zahlt mehr. Knappes Wasser würde damit aber zur Ware und dem Gesetz des Marktes unterworfen. Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika „Laudato Si“ mit Kapitel II ‚Die Wasserfrage‘ die Situation erkannt und eindringlich davor gewarnt. Den Gerechtigkeitsdimensionen wäre noch die Gerechtigkeit ‚interspezies‘ hinzuzufügen, d.h. sich als Mensch auch zurückzunehmen und der Ökologie wieder mehr Raum zu lassen – vgl. auch „earth system justice“ oder Jens Kerstens Überlegungen zu einem „ökologischen Grundgesetz“  (Prof. Dr. Martin Schneider, Moraltheologie und Christliche Sozialethik, KU Eichstätt-Ingolstadt).

Part Landschaft

„Die Land- und Forstwirtschaft rückt zunehmend in den Fokus für die Ernährungssicherung, für die Gewinnung erneuerbarer Energien, für die Dekarbonisierung und den Ressourcenschutz. Wir müssen alle diese Ziele erreichen und zwar möglichst auf unseren eigenen Flächen in Bayern bzw. Deutschland, Europa – und nicht in Abhängigkeit von anderen Ländern. Es geht darum, uns resilient aufzustellen. Die Lösung kann nicht sein, virtuelles Wasser zu importieren und Umweltauswirkungen zu externalisieren. Wir müssen als Industrieland Deutschland beweisen, dass es uns gelingt, die Interessen zu vereinen. Der Bauerverband versteht sich hier auch als Ideenschiede. Wir brauchen Forschung und Ideen für eine multifunktionale Flächennutzung(Günther Felßner, Präsident Bayerischer Bauernverband, Vizepräsident Deutscher Bauernverband)

„Die Wasserinfrastruktur in Bayern ist gut ausgebaut, quantitativ wie qualitativ. Die Wasserversorgung wird von den Kommunen bzw. Kommunalen Unternehmen vort Ort geregelt, nur zum Teil sind Fern- oder Verbundleitungen nötig. Doch mit Wasser sind viele weitere Prozesse verbunden, die zu Rückkopplungen führen, nicht nur die Frage des Grundwasservorkommens. Auch das Abwasser und die Abwasserreinigung ist mitzudenken oder die Dimensionierung der Kanalleitungen gerade mit Blick auf Starkregenereignisse. Bei anhaltenden Dürreperioden und Wasserknappheit stellt sich außerdem die Frage, wie die Energieversorgungs gesichert werden kann: ist Wasserkraft dann noch grundlastfähig? Kann auf dem trockenen Substrat genügend Biomasse für erneuerrbare Energien produziert werden? Verteuert sich Energie in Europa, wenn Frankreichs Atomkraftwerke wegen niedriger Flusspegel nicht laufen können? Wer hat Zugang zu erfrischenden Freibädern? Viele weitere Fragen tun sich auf.“ (Gunnar Braun, Geschäftsführer VKU Landesgruppe Bayern)

Eigentlich haben wir auch jetzt ausreichend Wasser – aber wir gehen nicht sorgsam damit um! Im Durchschnitt benötigen wir in Deutschland pro Tag und pro Kopf 120 Liter Wasser. Das entspricht rechnerisch einem durchschnittlichen Niederschlag, der pro Tag auf eine Fläche von 50 qm fällt. Aber im Durchschnitt ist pro Kopf auch eine Fläche von etwa 270 qm versiegelt. Auf solchen, versiegelten Flächen entsorgen wir das Wasser quasi ungenutzt. Umso mehr muss das unversiegelte Land die Verdunstung, die für den regionalen Wasserkreislauf wichtig ist, bereitstellen. In dieser Rechnung wird dadurch jedem Landwirt (und Forstwirt) gewissermaßen ein Teil des Wassers weggenommen, etwa 40 l/qm“. (Apl. Prof. Dr. Karl Auerswald, Aquatische  Systembiologie, TU München,  School of Life Sciences Weihenstephan)

„Früher hat man versucht das Wasser aus der Landschaft zu pressen, das war die vorherrschende Kulturaufgabe. Heute ist das anders. Wir haben aber nicht mehr die gleichmäßigen Niederschläge, sondern mehr Extreme. Wir haben erkannt, dass mit dem Wasser, das abgeleitet wird, auch der Humus und wichtige Mineral- und Nähstoffe verloren gehen. Heute muss es unsere Aufgabe sein, Wasser in der Landschaft zu halten – eine ‚wasserrückhaltende Flurgestaltung‘. Dazu braucht es mehr Strukturen in der Landschaft, die das Wasser in kleinen Kreisläufen halten und den Stoffaustrag minimieren. Gute Erfahrungen gibt es hier mit Projekten wie Agroforstwirtschaft, A.ckerwert und Boden.ständig. Veränderungsprozesse werden dabei mit den Landwirten selbst gestaltet, durch Berater begleitet. (Norbert Bäuml, Bereich Zentrale Aufgaben, Bayerische Verwaltung für Ländliche Entwicklung)

Part Siedlung

„Innenstädte sind dichter bebaut und stärker versiegelt, daher steigen die Temperaturen hier stärker als auf dem Land. So sind in den städtischen „Hitzehotspots“ ca. 80-90 % der Fläche versiegelt (in München z.B. Maxvorstadt). Vor allem für ältere Menschen ist die Hitze eine große gesundheitliche Belastung. Abhilfe schaffen könnten „grüne Infrastrukturen“, also etwa Baumreihen und Frischluftkorridore. Doch Bäume brauchen Platz, um eine Baumkrone und ein Wurzelwerk entwickelt zu können. Das bedeutet: Weniger Parkplätze für Autos, stattdessen mehr Platz für Bäume. Das Stichwort ist ‚dreifache Innenentwicklung‚: bauliche Verdichtung, Integration von Stadtgrün, raumsparende Mobilität. Wir müssen neu über Planung in der Stadt nachdenken, womöglich auch Grünkennwerte einsetzen und die Flächenversiegelung einschränken! Wohnen, Verkehr und andere Infrastrukturen sowie Grünstrukturen sollten nicht mehr nacheinander, sondern von Anfang an miteinander und in Zusammenarbeit der Akteure geplant werden“. (Prof. Dr.-Ing. Stephan Pauleit, Strategie und Management der Landschaftsentwicklung, TU München).

„Zur grünen Infrastruktur gehört auch die blaue Infrastruktur: Wasser sollte in der Stadt bleiben, statt über Rinnen zu den Gullys in die Kanalisation und über diese zu einem Bach und den Unterliegern geleitet zu werden. Der Boden muss Wasser speichern können. Dazu braucht es z.B. wasserdurchlässige Beläge, Sickermulden, Rigolen und Regenspeicher. Dieses Wasser steht dann Grünanlagen, Bäumen, grünen Fassaden und Gründächern zur Verfügung, die wiederum das Klima ausgleichen und die Artenvielfalt erhöhen. So entsteht ein eigener Wasserkreislauf, das ist das Prinzip der Schwammstadt. Die lässt sich nur realisieren, wenn die Fachplanungen zusammenarbeiten„. (Dr.-Ing. Andreas Rimböck, Leiter Abteilung Wasserbau, Hochwasserschutz, Gewässerschutz, Bayerisches Landesamt für Umwelt)

„Der Druck auf das Wasser – quantitativ wie qualitativ – wächst, denn der Bedarf steigt, ob für Landwirtschaft, Stadt, Industrie, das Trinkwasser oder die  Natur. Wir müssen auf einen ‚resilienten Wasserraum‘ achten, denn wenn die Reserven zu sehr beansprucht werden, braucht es Zeit, bis sie sich wieder erholen. Unsere ‚Wasser-Effizienz‘ muss besser werden.  Dies lässt sich z.B. durch die Wiedernutzung von Wasser erreichen. Eine der trockensten Regionen in Bayern ist Unterfranken. Hier läuft aktuell ein Pilotprojekt: Zusammen mit den Stakeholdern werden die Wasserbedarfe ermittelt, alternative Ressourcen eruiert und Konzepte für die Wiederverwertung und die bedarfsgerechte Bewässerung (urban wie landwirtschaftlich) entwickelt. Dafür wird ein dichtes Netz an Messstellen aufgebaut, um die Prozesse über die erfassten Datenerfassung zielgenau steuern und bewerten zu können – ‚Bewässerungsmanagement via Internet of Things‘. Dabei werden die gesetzlichen Anforderungen beachtet, wie etwa die seit 26. Juni 2023 geltende die EU-Verordnung zur Wasserwiederverwendung (WVVO 2020 /741). Grundlage hierfür ist ein Risikomanagementplan, das gewährleistet, dass aufbereitetes Wasser sicher genutzt wird.“(Prof. Dr.-Ing. Jörg E. Drewes, Siedlungswasserwirtschaft, TU München)

„Was brauchen wir an Wasser insgesamt, wo bekommen wir es her, wie verteilen wir es? Diese Fragen werden für Gemeinden immer wichtiger, auch der Umgang mit dem Brauchwasser. Die Trinkwasserversorgung ist eine öffentliche Pflichtaufgabe und genießt daher Vorrang (§ 50 Wasserhaushaltsgesetz). Das muss auch so bleiben! Bestrebungen von Mineralwasserproduzenten, sich hier auf eine gleiche Stufe stellen zu wollen, müssen abgewiesen werden, denn diese haben ein wirtschaftliches Interesse. Wenn das Grundwasser das blaue Gold ist, dann sollte das Tiefenwasser der Tresor sein, denn es ist besonders schutzbedürftig. Aktuell werden viele weitere Brunnen erschlossen: ein Irrweg! Vor allem, da wir gar nicht wissen, wie viel entnommen wird. Hier sollten Wasserzähler eingesetzt werden. Über die Bepreisung von Wasser, das entnommen wird, ist nachzudenken – das Geld (Wasserentnahmegeld/ Wassercent) könnte gut für den Grundwasserschutz eingesetzt werden.“ (Dr. Juliane Thimet, Stellvertreterin des Geschäftsführenden Präsidialmitglieds, Referat Wasserrecht, Bayerischer Gemeindetag)

Silke Franke, Geschäftsführerin Bayerische Akademie Ländlicher Raum
Stand 24.07.2023