Bayerischer Vitalitätscheck nun auch in China? Akademiemitglieder als Experten stark gefragt

Meilenstein in der China Kooperation: Erstmals ein Buch zum Thema Vitalitätscheck der Dörfer im Reich der Mitte

Peking/ München, im Februar 2022. Das im Vorjahr erschienene Fachbuch „Vitalitätscheck im Ländlichen Raum in China: Theorie und Praxis“ rückt immer mehr ins Zentrum des Interesses. Erstmals in China ermöglicht dieser Check vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes von Urbanisierung und Revitalisierung ländlicher Räume die faire und transparente Bewertung von Dörfern bei der schwierigen Frage ihrer möglichen „Zusammen­legung“ mit Beseitigung einzelner Dörfer oder ihrer Erhaltung.

Das Buch stellt einen Höhepunkt dar in der langjährigen Zusammenarbeit zwischen dem am Ministerium für Natürliche Ressourcen (MNR) der Volksrepublik China angesiedelten Nationalen Zentrum für Flurneuordnung und Bodenrehabilitation (LCRC) und der HSS Repräsentanz Shandong. Es ist das Ergebnis eines intensiven fachlichen Austausches und Wissenstransfers zwischen Bayern und China sowie innerchinesischer Dialoge. Dabei wurden ganz besonders die Erfahrungen und Ansätze des in der Praxis bewährten Vitalitätschecks der Bayerischen Verwaltung für Ländliche Entwicklung genutzt. Ein chinarepräsentatives Expertengremium begleitete den Entstehungsprozess des Buches. Seine Chefredakteure und Herausgeber sind Herr Gao Shichang, Leiter des Referats für Internationale Zusammenarbeit und wissenschaftliche Kooperation des LCRC, Direktor Dr. Michael Klaus, Chefrepräsentant der HSS Shandong und O. Mitglied der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und Prof. Wu Cifang, Leiter der China Academy for Rural Development, eines Think-Tanks, der an die Zhejiang Universität angegliedert ist und der ein wichtiger universitärer Partner war. Koordination, organisatorische Begleitung, Steuerung und Übersetzung oblagen Frau Zhang Wenjun, Projektmanagerin der HSS Repräsentanz Shandong.

Das Buch spiegelt auch die enge und erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum wieder. Der langjährige Wegbegleiter und wissenschaftliche Berater der HSS und des LCRC, Akademieehrenpräsident Prof. Dr. Holger Magel, regte vor Jahren schon ein Steuerungsinstrument zur Bewertung von Dörfern an. Er wollte die für Aussenstehende oft willkürlich erscheinende Beseitigung der Dörfer auf objektivere Grundlagen stellen helfen. 2017 war die Zeit reif dafür.

Prof. Dr. Manfred Miosga, Professor der Stadt- und Regionalentwicklung an der Universität Bayreuth, ehemals Vorsitzender des Wissenschaftlichen Kuratoriums der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und seit 2019 Nachfolger von Magel als Präsident der Bayerischen Akademie, hat das Thema in China wissenschaftlich erläutert, Beispiele vorgestellt und anhand chinesischer Projekte evaluiert bzw. beraten.

Fachdialog Vitalitätscheck in Bayern und die Möglichkeit der Anwendung in China zwischen Vertretern des LCRC Peking und dem HSS Team (v.l.) Hafner, Zhang. Klaus, Miosga und Dolmetscher Yuan Puhua am 13. April 2018

Wie kam es zum Thema Vitalitätscheck?

2017 war das Jahr ,in dem in China die neue Politik zur Revitalisierung ländlicher Räume gestartet wurde. Die HSS Repräsentanz hat daraufhin in ihrem breit gestreuten Jahresbericht den Verantwortlichen in China vorgeschlagen, entsprechend den Anregungen von Magel den bayerischen Vitalitätscheck nun auch in China anzuwenden und entsprechend zu übertragen, um das Thema auch im nationalen Diskurs zu besetzen. Der Vitalitätscheck bietet für jedermann eine nachvollziehbare empirisch-statistische Grundlage, um Entscheidungsprozesse bei der eventuellen Aufgabe bzw. Entwicklung von Dörfern in Zukunft transparenter und fundierter zu gestalten und damit Entscheidungen begründbar zu machen. Er ist auch ein Plädoyer dafür, durch Entwicklung von Dörfern und  Erhöhung der ländlichen Lebensqualität einen Kontrapunkt zu den anhaltenden Urbanisierungstendenzen zu setzen.

Erfreulicherweise reagierte der Minister des MNR sehr positiv, indem er sich mit dem LCRC in Verbindung setzte. Der Generaldirektor des LCRC und erfahrener Kenner der Flurbereinigung, Fan Shuyin, schlug daraufhin vor, das Thema gemeinschaftlich wissen­schaftlich zu bearbeiten. Um das Thema im chinesischen Kontext besser verstehen und einordnen  sowie die schwierigen Übersetzungen in die chinesische Sprache kongenial gestalten zu können, studierte Frau ZHANG Wenjun im Rahmen einer von O. Akademiemitglied Dr.habil. Sabine  Hafner geleiteten Fortbildung im Bayreuther Büro KlimaKom die Grundlagen und Methoden des Vitalitätschecks.

Am 13. April 2018 haben Miosga, Hafner und – ebenfalls  O. Akademiemitglied – Diplom-Ingenieur Karl Spindler bei einem durch das LCRC initiierten und durch die HSS Repräsentanz Shandong organisierten Fachdialog zum Thema Vitalitätscheck in Bayern und die Möglichkeit der Anwendung in China referiert. Um für diesen Dialog über Erfahrungen im chinesischen ländlichen Raum zu verfügen, ging eine Evaluation von Pilotprojekten der HSS voraus.

Projektevaluierung in der Modellprojektgemeinde Jiyuan, Sichuan am 8.4.2018 mit (v.l.) Hafner, Miosga, Spindler, Zhang (mit Hut), S. Kade sowie Klaus

Über das Buch:

Das Buch besteht neben dem Vorwort insgesamt aus sechs Kapiteln. Im ersten Kapitel geht es um die Einführung, Problemerläuterung im chinesischen ländlichen Raum und die Beziehungen zwischen Vitalität und Entwicklung im Dorf. Während des Urbanisierungsprozesses in China haben viele Dörfer ihre Vitalität eingebüßt. Anzeichen dafür waren insbesondere Einwohnerverlust, Leerstand von Gebäuden und brachliegendes Ackerland. Diesbezüglich können auch Parallelen zu Deutschland gezogen werden. Um die Strategie der ländlichen Revitalisierung umzusetzen, ist ein objektives Bewertungssystem dringend notwendig. Folgerichtig werden im zweiten Kapitel die Erfahrungen, Ansätze und Bewertungssysteme für die Entwicklung im ländlichen Raum in Deutschland, Japan, England und Amerika vorgestellt. Basierend auf der Forschungsarbeit zwischen dem LCRC, der berühmten Zhejiang Universität , Provinz Hangzhou und der HSS Repräsentanz Shandong wird im dritten Kapitel die Theorie für den bayerischen Vitalitätscheck erläutert: Indikatorensätze, Daten und Anwendungen. Im vierten Kapitel geht es um eine Adaption des Bewertungssystems in China. Es wird durch 20 Indikatoren in den sechs zentralen Themenfeldern gebildet. Diese sind: Zusammenhalt der Gesellschaft, Attraktivität für Einwohner, Verträglichkeit der Landnutzung, Entwicklung von Handwerk und Industrie, Infrastruktur und Potential der Ressourcen. Das fünfte Kapitel präsentiert drei praktische Beispiele zur Nutzung dieses Bewertungssystems. Das Pilotprojekt Jinyuan der HSS Repräsentanz Shandong wurde auch nach diesen Indikatoren analysiert. Das letzte Kapitel bietet eine Entwicklungsperspektive für den Vitalitätscheck in China.

Resümee:

Mit der Veröffentlichung des Buches hat sich erneut gezeigt, dass die HSS mit Unterstützung wichtiger wissenschaftlicher Institutionen oder Akademien wie der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und Experten aus China und Deutschland zur Normenbildung und damit zu Good Governance in China beitragen kann. Das Bewertungssystem, das auf den breiten bayerischen Erfahrungen basiert und an die chinesischen Gegebenheiten angepasst ist, dient der systematischen und umfassenden Analyse der Entwicklung in den chinesischen Dörfern. Damit wird im Sinne der globalen Werte ein wichtiger Beitrag für die Lebensqualität und humane Zukunft der Menschen im ländlichen Raum  geleistet.

Im Kontext der so wichtigen ländlichen Revitalisierungsstrategie wird das Bewertungssystem eine wichtige Rolle spielen. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass die Entscheidungen über die Entwicklung von Dörfern und Regionen künftig transparenter und nachvollziehbarer getroffen werden (müssen).

Gao, S., Klaus, M., Wu, C., (2021): „Vitalitätscheck im Ländlichen Raum in China: Theorie und Praxis. (中国乡村活力评价——理论方法与实践)Geological Publishing House, Peking, 276 Seiten

(ISBN 978-7-116-12677-0)

Autoren dieses Beitrages: Michael Klaus, Zhang Wenjun, Holger Magel

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