Unsere Preisträger 2020

Alle zwei Jahre vergibt die Bayerische Akademie Ländlicher Raum einen Preis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Das Wissenschaftliche Kuratorium hat nun Arbeiten ausgewählt, die sich in interessanter Weise mit aktuellen Fragestellungen zum Ländlichen Raum auseinandersetzen. Besonders erfreulich war die diesmal besonders hohe Zahl der Teilnehmer und bunte Vielfalt an Themen bzw, Disziplinen, Abschlüssen und Herkünften. Insgesamt wurden vier Hauptpreise und zwei Anerkennungspreise vergeben.

Die Themen:

Ambiant Assisted Living – räumliche Voraussetzungen
(Masterarbeit Marianne Höbel)

Erneuerung postfossiler Kulturlandschaften – Entwurfstheorie
(Masterarbeit Matthias Oberfrank)

Nachverdichtung im Dorf – planerische Neuausrichtung
(Masterarbeit Ferdinand Schachinger)

Landwirtschaft und Gesellschaft – akteurszentrierte Expertise
(Barbara Wittmann)

Lockerung des Anbindegebots – Diskursanalyse
(Bacheolorarbeit Lea Heeren)

Teilräumliche Entwicklung – „Begabungsfelder“
(Masterarbeit Anne Spitz)

KATEGORIE HAUPTPREIS

Marianne Höbel

Ambient Assisted Living und dessen Beitrag zur Bewältigung des vierten Lebensalters in ländlichen Räumen Österreichs

Masterarbeit
Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur (Dipl.-Ing.) Boku Wien

Einschätzung der Jury
Die Masterarbeit verbindet die Themenfelder von demographischer Alterung in ländlichen Kommunen mit denen der Digitalisierung und Infrastrukturentwicklung. Ziel ist, die Relevanz raumbezogener Gelingens- und Hemmfaktoren in Bezug auf den Einsatz von Ambient Assisted Living (AAL) zu erhellen. Der Einsatz dieser Technologien soll ein möglichst selbstbestimmtes und qualitätsvolles Leben für hilfs- und pflegebedürftige ältere Menschen in ihren eigenen vier Wänden ermöglichen. Die Anwendungsbereiche umfassen „Haushalt und Versorgung“, „Sicherheit und Privatsphäre“, „Gesundheit und Pflege“ sowie „Kommunikation und soziales Umfeld“. Das Forschungsdesign ist transdisziplinär und verknüpft digitale, räumliche und sozialwissenschaftliche Kategorien. Höbel stellt die politischen Ziele und Strategien sowie die konkreten Einsatzgebiete übersichtlich dar und verdeutlicht die Lücken in der bisherigen Forschung zu Testregionen (z.B. Fehlen von Kontrollgruppen, Schwierigkeit Testpersonen zu finden, fehlende Zuordnung zu Raumklassifikationen). Für die Auswertung wurde ein themenzentrierter Analyseraster entwickelt.
Die Arbeit zeichnet sich durch Genauigkeit und Systematik aus. Höbel verweist auf die „Verklammerung“ der technischen mit der räumlichen Infrastruktur und deckt Mängel einer notwendigen Standardisierung auf. Sie ermöglicht dabei, jenseits von Technikbegeisterung oder Skepsis, differenzierte Einblicke in die Anwendungsmöglichkeiten von AAL zu Bewältigung des hohen Erwachsenenalters in ländlichen Räumen.
AAL, so die Autorin selbst, kann ein flankierendes Instrument zur Unterstützung persönlicher Dienste darstellen, das aber nur in einem funktionierendem Gesamtkonzept gelingend zum Einsatz kommen kann.

Matthias Oberfrank

Auf weitem Feld. Behutsame Erneuerung einer (post)fossilen Kulturlandschaft
anhand des Entwurfsansatzes von Peter Latz

Masterarbeit (M.A.)
Landschaftsarchitektur Technische Universität München

Einschätzung der Jury

Die Arbeit setzt sich mit der Transformation von fossilen Strukturen auseinander: Wie könnten ländliche und suburbane Kulturlandschafften, die von Verkehr, Logistikhallen, Ressourcenabbau und industrieller Landwirtschaft geprägt sind, in Zukunft aussehen? Oberfrank entwirft Ideen für eine behutsame Erneuerung. Anschauungsbeispiel ist die von industriellen Strukturen durchzogene Kulturlandschaft zwischen Augsburg und Landsberg am Lech. Die verwendeten Methoden – strukturalistische Landschaftsanalyse und Transformationsstudie – orientieren sich an der 40 Jahre alten Entwurfstheorie von Peter Latz, führen sie fort und setzen sich dabei von funktionalistischen Entwurfsansätzen der Gegenwart deutlich ab. Die Masterarbeit zeigt, wie in der Entwurfsarbeit des Landschaftsarchitekten Schnittstellen zu konzeptionellen Beiträgen aus anderen Disziplinen angelegt werden können. Sie liefert Grundbausteine für Planer und Träger der Transformation und erhöht die Chancen zur Verständigung auf einen Masterplan im Dialog mit Fachplanungen, etwa der Wasserwirtschaft, des Straßen- und Wegebaus, des kommunalen Siedlungswesens, der Grünordnung und der Denkmalpflege.

Aus der Jury: „Die Ergebnisse mögen sehr fantasievoll und damit praxisfremd erscheinen, die aufwändig durchgespielte Methodik aber ist beispielhaft und für Ziele einzelner Träger der Transformation erweiterbar“.

Ferdinand Schachinger

Hüttwilen: Fantastische Dorfräume und wo sie zu (er-)finden sind.
Entwicklungsmomente dörflicher Dichte im Gefüge der historisch gewachsenen Ortskernstruktur

Masterarbeit (M.A. Architektur),
Technische Universität München, Lehrstuhl für nachhaltige Entwicklung von Stadt und Land

Einschätzung der Jury

Flächensparen ist auch politisch wieder zu einem ernst zu nehmenden Thema geworden. Innen- vor Außenentwicklung ist das Gebot. Doch Innenentwicklung darf keinesfalls als Nachverdichtung um jeden Preis missverstanden werden. Vielmehr, so Schachinger selbst, müsse es um die Rückkehr zu einem organischen Wachstum der Siedlungsstruktur und ihres räumlichen Zusammenhangs gehen. Die Arbeit unterstützt eindrücklich eine planerische Neuausrichtung zur Innenentwicklung. Als Grundlage für seine städtebauliche Entwurfsmethodik wählt Schachinger dabei einen Ansatz, der das Dorf als Summe seiner identitätsstiftenden Räume – als Raumnetzwerk – denkt. Durchgeführt wurde dieser Ansatz am Beispiel von Hüttwilen, wo Schachinger die spezifischen Qualitäten der einzelnen Räume erfasst und die an der Raumbildung beteiligten Elemente identifiziert hat, um Regeln für eine gelungene Raumbildung ableiten und dörfliche Zusammenhänge weiterentwickeln zu können. Aus der Jury: „Die Nachverdichtungsstrategien werden gut erläutert und hergeleitet und im Dorf Hüttwilen auch treffsicher verortet: Schachinger hat den „Dialekt“ der ortstypischen Formensprache gefunden und setzt diesen im Entwurf des Ortskerns gut umgesetzt.“ Schachinger hat damit eine systematische städtebaulich-architektonische Methodik für die differenzierte Innenentwicklung von Dörfern entwickelt. Der Verfasser schlägt eine präzise Vorgehensweise vor, mit der räumliche Qualitäten erkannt und in Strategien für Verdichtungsmaßnahmen transferiert werden können. Die Fallstudie in der Schweiz – generell ein wichtiger Referenzraum für die Begrenzung der Siedlungsfläche – ist sowohl für Wachstums- als auch für Schrumpfungsräume in Bayern übertragbar.

Barbara Wittmann

„Landwirt – Tier – Gesellschaft.
Eine kulturwissenschaftliche Untersuchung subjektzentrierter Positionierungen von Intensivtierhaltern im Agrarraum Bayern“

Dissertation,
Vergleichende Kulturwissenschaft, Universität Regensburg

Einschätzung der Jury

Die Dissertation bearbeitet ein höchst aktuelles wie konfliktbeladenes Thema. Die Landwirte sehen vor einem schier unauflösbaren Dilemma: Wenn sie so wirtschaften, dass sie auf dem Markt bestehen können, verlieren sie die Akzeptanz der Gesellschaft. Wenn sie so wirtschaften, dass sie den Vorstellungen eines Großteils der Bevölkerung entsprechen, haben sie auf dem Markt einen schwierigen Stand. Hier hat Wittmann durch ihre dezidiert akteurszentrierte Perspektive eine Forschungslücke identifiziert – und maßgeblich zu ihrer Schließung beigetragen. Ihre zentrale Forschungsfrage ist, wie sich die Nutztierhalter im Spannungsfeld von ökonomischem Druck, Tierrechtskritik und Verbraucheranspruch selbst verorten – wie sieht es z.B. mit der eigenen Verantwortung für den Umweltschutz aus, welche Stellung haben sie in der Gesellschaft und wie reagieren sie darauf?

Die Positionierungen der Landwirte selbst lassen ihre Handlungs- und Verhaltensmuster neu verstehen oder ihre Akzeptanz bzw. Nichtakzeptanz von Vorschriften und Gesetzen. Es zeigt sich deutlich, wo Schieflagen vorhanden sind und wo für ein Gelingen sehr viel stärker auf die Expertise und Ausgangslage der Betroffenen selbst geachtet werden sollte. Wittmann hat das kulturwissenschaftliche Methodenspektrum gekonnt eingesetzt, mutig mit außerdisziplinären Ansätze ergänzt und so optimiert. Die gewonnenen Ergebnisse wurden in den Kontext der Forschung eingebettet und sind sowohl für die Vergleichende Kulturwissenschaft wie für die interdisziplinäre Agrarforschung gewinnbringend. Aus der Jury: „Die Erkenntnisse können einen wichtigen, gesellschaftspolitischen Beitrag für das Verständnis der Zusammenhänge, aber auch zur Problemlösung leisten“.

KATEGORIE ANERKENNUNGSPREIS

Lea Heeren

Flächeninanspruchnahme und die Lockerung des sogenannten Anbindegebots in Bayern: Eine diskursanalytische Betrachtung.

Bachelorarbeit (B.A. Politikwissenschaft, deutsch-französischer integrierter Studiengang),
Katholische Universität Eichstätt und Institut d’Études Politiques de Rennes

Einschätzung der Jury

Durch Lockerungen des Anbindegebots versprechen sich insbesondere strukturschwache und ländliche Kommunen Entwicklungsmöglichkeiten. Heeren: „Implizit lässt sich in dieser Argumentation die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Flächeninanspruchnahme und Wirtschaftswachstum beobachten“, was sie zu der Frage führt: Inwiefern lässt sich die Lockerung des Anbindegebots als Raumproduktion im Sinne eines spatial fix nach David Harvey verstehen, also als räumliche Verlagerung von Überakkumulation in Ballungsgebieten? Die Autorin integriert in ihrer Bachelorarbeit regionalökonomische und medienwissenschaftliche Ansätze in die Politikwissenschaft. Sie überträgt sie z.B. die Methode der kritischen Diskursanalyse, insbesondere zu Normalismen und Kollektivsymboliken, von medialen Großereignissen auf die parlamentarische Diskussion zum Anbindegebot und liefert damit generell Hinweise zur Mechanismen der Politikberatung durch fachliche und wissenschaftliche Expertise. In dieser Art der verdichteten Aufbereitung und Auswertung entsteht ein neuer Zugang zum Diskurs über Entwicklung ländlicher Räume, Flächensparen, Wirtschaftswachstum und der Idee der Deregulierung und Kommunalisierung. Aus der Jury: „Lea Heeren stellt sehr engagiert und treffsicher eine innovative diskursanalytische Betrachtung zu einem wichtigen Thema der Landesplanung vor, die interessante Hinweise für zukünftige Expertisen an die Politik geben kann. Die Autorin spürt den öffentlich geäußerten politischen Motiven, den Konventionen und ideologische Grundlagen für die Lockerung des Anbindegebots nach. Lea Heeren liefert damit Hinweise für das Engagement zum Flächensparen und zu einer gestalterisch qualitätvollen Landesentwicklung.

Anne Spitz

„Verborgene Schätze“ – Zu verborgenen Begabungen von Räumen und deren möglicher Inwertsetzung durch Instrumente der Raumplanung anhand ausgewählter Beispiele – Ein Beitrag zur Entwicklung von Teilräumen

Masterarbeit (M.Sc. Geographie – Raumordnung und Landesplanung, insbes. Regionalmanagement),
Universität Augsburg

Einschätzung der Jury

Idee von Anne Spitz ist eine nachhaltige Raumentwicklung, die in Einklang mit den Ressourcen und Begabungen vor Ort vorangetrieben wird. Voraussetzung ist, dass diese „Schätze“ entsprechend in Wert gesetzt werden. Die vorliegende Arbeit untersucht daher die Fragen, wie die oft verborgene Begabungen aufgefunden werden können, welche Begabungsfelder für eine teilräumliche Entwicklung relevant sein können und wie die Instrumente der bayerischen Raumplanung für die Inwertsetzung eingesetzt werden können. Für die Inwertsetzung wurde ein strategisches Vorgehen entwickelt und beispielhaft angewendet. Der jeweilige Raumnutzen wurde anhand zuvor aufgestellter Kriterien geprüft. Aus der Jury: „Ein solches Programm ist originell und zukunftsorientiert. Letztlich geht es um die Einzigartigkeit einer Region aus dem Blickwinkel der Raumplanung und damit – höchst aktuell – auch um die Resilienz in der Region.“

Wir bedanken uns bei allen Einreichern, die mitgemacht haben und gratulieren den Gewinnern. Allen für die weitere Zukunt alles Gute.

Normalerweise würde die Preisverleihung feierlich im Rahmen des öffentlichen Teils der Mitgliederversammlung erfolgen, die jedoch aufgrund der Auflagen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in den Herbst verschoben werden muss. Wir hoffen, dass wir die Möglichkeit der persönlichen Begegnung mit den Preisträgern nachholen können.

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