Auftakt

Das bisherige Sommerkolloquium der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und der Hanns-Seidel-Stiftung firmiert zum ersten Mal unter der neuen Bezeichnung „Alois-Glück-Kolloquium“ und hält damit eine Persönlichkeit in Ehren, mit der beide Institutionen eng verbunden waren.

Alois Glück, (Foto: Silke Franke)

*24. Januar 1940  – †26. Februar 2024, ehemaliger Landtagspräsident,
Stellvertretender Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung,
Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum

Die Fachveranstaltung knüpft weiterhin an Leitgedanken von Alois Glück an. Für den ersten Aufschlag stellt sie eine Fragestellung voran, die ihm immer sehr am Herzen lag und die leider aktueller und brennender nicht sein könnte.

Wie ist es um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft bestellt – um das Verhältnis von Stadt und Land, um die Dialogfähigkeit trotz unterschiedlicher Interessenspositionen, die Diskussion mit betroffenen Akteuren auf Augenhöhe und die Partizipation von Bürgern?

Dies diskutierten wir u.a. mit
Dr. Günther Beckstein (Bayerischer Ministerpräsident a. D., Leiter Runder Tisch Bürgerbeteiligung)
Prof. Dr. Lukas Haffert (Autor des Buches „Stadt Land Frust. Eine politische Vermessung“)

Außerdem wurden konkrete Beispiele für eine Kultur des Miteinanders vorgestellt, etwa „Region ist Solidarität“, „Dialog-Forum Landwirtschaft und Kommunen“, „Aktive, positiv gestaltende Partizipation in der Energiewende“.

Lukas Haffert, Ursula Diepolder, Silke Franke, Stephanie Bock, Tobias Reiß, Holger Magel (Foto: Kalac HSS)

Das Sommerkolloquium und Alois Glück

Silke Franke
(Referatsleiterin Umwelt, Energie, Städte, Ländlicher Raum in der Hanns-Seidel-Stiftung)

Silke Franke (Foto: I. Kalac HSS)

Das gemeinsame Veranstaltungsformat, hinter dem Holger Magel und Silke Franke stehen,  gibt es schon seit gut 15 Jahren. Es greift immer ein aktuelles Fachthema mit Bezug zum ländlichen Raum auf  und verbindet es mit einer Wertedimension, die die Gesellschaft und das Gerechtigkeitsempfinden analysiert – mal über Ethiker, Philosophien, mal über Soziologen oder über Juristen und Politikwissenschaftler. Franke: „Genau deswegen war Alois Glück wohl von dem Format so angetan. Er hat sich daher oft auch selbst eingebracht, direkt in der Veranstaltung oder uns, wie es auch für ihn charakteristisch war, seine Gedanken dazu schriftlich festgehalten und per E-Mail mitgeteilt“.

Hier ein paar Impressionen, die zeigen, wie wichtig und zeitlos seine Kommentare waren und sind:

Tobias Reiß, MdL
(Erster Vizepräsident des Bayerischen Landtags)

Tobias Reiß, MdL (Foto: Irmak Kalac HSS)

„Uns alle hier verbindet das Vermächtnis von Alois Glück. Sein Lebensweg ist wohl einmalig: er war gelernter Landwirt, aber auch in der Katholischen Landjugendbewegung und als Journalist tätig, ehe er in die Politik ging und im Bayerischen Landtag Karriere machte.“ … „Alois Glück war ein Friedenstifter und Vordenker. Es braucht die Auseinandersetzung mit gegenseitigen Standpunkten – durchaus auch mal harte Auseinandersetzungen – aber mit gutem Willen!“

Prof. EoE Dr. Holger Magel
(Ehrenpräsident ALR)

Holger Magel (Foto: I. Kalac HSS)

„Wir Veranstalter sind in Sorge um den Zusammenhalt, um den sozialen Kitt in unseren Kommunen, um ein manchmal kontroverses – oder wie Glück sagte – konfrontatives, aber letztlich konstruktiv-vertrauensvolles Miteinander, was zum Aufbau unserer nun 75 jährigen Demokratie geführt hat. Alois Glück war prägend mit dabei.“

Themen, Statements, Folien

Dr. Günther Beckstein
(Bayerischer Ministerpräsident a. D., Leiter Runder Tisch Bürgerbeteiligung)

Günther Beckstein (Foto: Silke Franke)

„Wir brauchen in der Demokratie Rede und Gegenrede. Das setzt aber den Respekt vor der Meinung anderer voraus.“ … „Statt zu jammern und immer nur Probleme zu sehen, sollten lieber die Chancen und die Stärken herausgearbeitet werden“. … „Demokratie braucht Menschen, die mitmachen. Bürgerbeteiligung ist ein wertvolles Gut, das es zu pflegen gilt. Ich bin immer wieder fasziniert, wie diszipliniert und sachgerecht etwa in den so genannten Bürgerräten gearbeitet wird“.

Der von der Staatsregierung eingesetzte Runde Tisch Bürgerbeteiligung, den Dr. Günther Beckstein leitet,  soll nicht etwa Bürgerbegehren und Bürgerentscheide abschaffen, aber Bilanz ziehen und überlegen, was vielleicht effizienter gestaltet werden könne. So werden Lösungen gesucht, wie sich leerlaufende Prozesse einfangen lassen, wie sie etwa bei mehreren Bürgerbegehren zu ein und demselben Vorhaben oder bei langwierigen Prozessen in Bauleit- und Infrastrukturplanungen entstehen können. Auch transparente und objektive Abläufe bei der Krankenhausplanung seien Thema oder die (schleppende) Umsetzung von eindeutig identifizierbaren digitalen Unterschriften. Auch eine Anlaufstelle auf Landesebene, die die Bürgerbeteiligung von  Ämtern und Kommunen informativ berät und unterstützt, sei eine Überlegung wert.

Prof. Dr. Lukas Haffert
(Professor vergleichende Politikwissenschaft und politische Ökonomie,
Universität Genf und Autor des Buches „Stadt Land Frust. Eine politische Vermessung“)

Lukas Haffert (Foto: Silke Franke)

Wir und die Anderen 2025 AGK Vortragsfolien Haffert (pdf)

Sind Stadt und Land politisch gespalten? Ein Blick auf die Ergebnisse der letzten Bundestagswahlen in den Wahlkreisen zeigt: Von 2013 bis 2025 ist tatsächlich eine zunehmende Polarisierung festzustellen: Grüne und Linke sind mittlerweile eindeutig städtische Parteien, die Union und die AfD eher ländliche. Auch ökonomische und soziale Indikatoren lassen darauf schließen, dass Stadt-Land-Unterschiede in Deutschland zugenommen haben. Das gilt nicht so sehr für die verfügbaren Einkommen, sondern eher die Demografie (wachsende und schrumpfende Regionen), die öffentliche Daseinsvorsorge und die finanzielle Lage der Kommunen. Allerdings: die Behauptung, dass ländliche Räume abgehängt seien, mag für die USA oder Frankreich zutreffen, für das vergleichsweise dezentral und kleinräumig strukturierte Deutschland weniger.

Noch bedeutsamer als „materielle“ Indikatoren sind die „gefühlten“ Indikatoren, die in ein „Wir und die Anderen“ spalten, wie Haffert erläutert. Dabei geht es um Einstellungsunterschiede (abweichende Haltung zu Themen, wie Gender, Migration, Klimaschutz und Verkehr), ungleiche Repräsentation (andere entscheiden über uns, unsere Interessen werden von „denen“ nicht vertreten, wir werden überhaupt nicht wahrgenommen) und  Identität (unsere Werte sind bedroht, unsere Leistungen werden nicht anerkannt, unsere Biographien haben keine Zukunftschance).  Ein Phänomen für den Wissenschaftler: „Wenn sich Einstellungen verändert haben, dann eher in den Städten. Und die Einstellungsunterschiede sind kleiner als die Wahlunterschiede“.

Haffert: „Diese Verbitterung kann man nicht allein durch mehr Geld in die ländlichen Räume oder den Ausbau von Infrastruktur auffangen“. Für ihn sind v.a. Selbstwirksamkeit und Repräsentation wichtige stabilsierende Elemente. Als Beispiele nannte er ein reges Vereinsleben, die kommunale Selbstverwaltung und den Lokalteil in Zeitungen.

Dr. Stephanie Bock
(Leiterin Team Stadt und Raum, Difu)

Stephanie Bock (Foto: Silke Franke)

Region ist Solidarität.
Gerechter Ausgleich von Lasten und Nutzen im interkommunalen Dialog
2025 AGK Region Solidaritaet Bock (pdf)

Der Wachstumsdruck macht in der Metropolregion München eine noch stärkere Zusammenarbeit notwendig. Nicht jede Kommune profitiert gleichermaßen von der Dynamik. Mehr Einwohner und Unternemen mögen zu mehr Steuereinnahmen führen, doch insgesamt steigt auch im Umfeld der Druck auf dem Wohnungsmarkt, die Verkehrsproblematik spitzt sich zu und die Freiräume werden immer stärker beansprucht.

Die Nähe zur Großstadt ist also Fluch und Segen zugleich. Die Herausforderungen und Probleme lassen sich nur gemeinsam lösen. Das bedeutet, in Aushandlungsprozesse zu treten und einen Ausgleich zu finden. Mit dem Kooperationsprojekt „Region ist Solidarität“ wurden Instrumente getestet, die einen fairen Lasten-Nutzen-Ausgleich zwischen den Gemeinden schaffen können.

Als Erfoglsfaktoren einer interkommunalen Kooperation nannte Bock beispielweise: vorhandene Ressourcen (v.a. Personalkapazitäten, Förderungen), Bürokratieabbau (praxistaugliche, einfache Regeln und Verfahren), Mindset (Problembewusstein, Offenheit, Überwindung von Kirchturmdenken), Unterstützung (durch Fachbehörden, übergeordente Koordination, vorhandene Modellbeispiele).

˜Für einen fairen Interessensausgleich ist ein Dialog auf Augenhöhe notwendig – geringe Personal- und Finanzmittel, ungleiche Rahmenbedingungen und Kirchturmdenken rücken hingegen die „Lasten“ in den Fokus, so die Erfahrung der Expertin. Ein ˜„Nutzen“ würde v.a bei geförderten Projekten gesehen. Bei der Klärung der Frage „was habe ich davon, was andere“, benötigen die beteiligten Kommunen Unterstützung. Bis von der bloßen „Kooperationsabsicht“ eine echte Kooperation entsteht, vergeht Zeit. Es braucht klare Regeln und Mandate (wer übernimmt Verantwortung, schließt die Lücken und kümmert sich?) –  gleichzeitig scheuen sich die Akteure, Kompetenzen zu übertragen – „eine Quadratur des Kreises“, so Bock. Wichtig sei daher, möglichst rasch von der Theorie zu Projekten zu kommen und Vertrauen aufzubauen. Für neue, gemeinsame  Aufgaben kommen Betreibergesellschaften in Frage.

Christoph Göbel (Landrat Landkreis München, Vorsitzender Europäische Metropolregion München), Arne Lorz (Hauptabteilungsleiter Stadtentwicklungsplanung, Landeshauptstadt München), Robert Niedergesäß (Landrat Landkreis Ebersberg) sind daher der Meinung:

In Gespräch: Arne Lorz, Christoph Göbel, Holger Magel, Robert Niedergesäß (Foto: Silke Franke)

„Die Region München ist in den Köpfen angekommen. ˜Kooperationen – etwa Zusammenschlüsse, Zweckverbände und interkommunale Allianzen – sind auf dem Vormarsch! Man kann inzwischen gemeinsam Themen und Projekte anpacken, weil man sich versteht und keine Angst hat, über den Tisch gezogen zu werden“.

Dr. Ursula Diepolder
(Büro für Regionalentwicklung / Geschäftsführerin der ILE an Rott und Inn)

Ursula Diepolder (Foto: Silke Franke)

Dialog-Forum Landwirtschaft und Kommunen
Wechselseitige Perspektiven kennenlernen, gemeinsam Optionen entwickeln,
um eine Kleinregion voranzubringen 
2025 AGK Landwirtschaft Dialog Diepolder (pdf)

Elf Gemeinden im Landkreis Passau arbeiten in der ILE (Integrierten Ländlichen Entwicklung)  Rott und Inn zusammen, begleitet von Ursula Diepolder. Eines der Schwerpunkte ist das Handlungsfeld „Sicherung der Lebensgrundlagen“, das den Fokus auf die „Landbewirtschaftung“ legt, wobei zwei nebenberuflich tätige Landwirte (konventionell und bio) die Federführung übernommen haben. Die Vision: „die regionale Wertschöpfung“ steigern.

Eines der frühesten Projekte, das im Rahmen der Zusammenarbeit angegangen wurde, ist das „Dialog-Forum Landwirtschaft & Kommune“. Ziel ist der gegenseitige Austausch und eine gute Beziehung zwischen Gemeinde und Landwirten. Berührungspunkte gibt es viele: Landwirte sind die Flächenbesitzer, sie produzieren Nahrungsmittel und Rohstoffe – zuweilen auch Lärm und Geruch – sie  stellen den „sozialen Kitt in den Orten“ dar, etwa über Brauchtumspflege und das ehrenamtliche Engagement.

Die Treffen beinhalten jeweils einen Informationsphase mit Vorträgen zu bestimmten Themen und eine Arbeitsphase, die auch als Analyse- und Ideenschmiede wirkt, erläutert Diepolder. Waren zunächst nur die Bürgermeister und die Obmänner bzw. Ortsbäuerinnen zu den Treffen geladen, wuchs die Gruppe im Laufe der Zeit um weitere Landwirte sowie Vertreter von Behörden und Institutionen an, die die verschiedene Impulse einbrachten. Diskutiert wurde etwa über Humusaufbau und Verminderung von Bodenerosion. In einer größeren Aktion wurden „Klima-Paten“ für „Klima-Landwirte“ gesucht. Ein weiterer Meilenstein ist die erfolgreiche Bewerbung als „Öko-Modellregion“, bei der sowohl konventionell wie auch biologisch wirtschaftende Betriebe eingebunden sind. Zahlreiche Projekte und Aktionen wurden angestoßen, um Wertschöpfungsptenziale zu heben: die Wiederbelebeung von Streuobstwiesen und Vermarktung der geernteten Äpfel als Apfelmost, ein „Speed-Dating“ für Erzeuger und Wirte oder die Veranstaltung „Genuss-Herbst“ mit Touristikern und das „Most-Fest“.

Fazit: Das Dialog-Forum gab den Raum für emotionale Aussprachen, vor allema ber aucfh für gemeinsame Projekte, die die Sichtbarkeit und Wertschätzung/ Wertschöpfung erhöhen. Eine “ Coaching-Regel“ von Frau Diepolder: „Wenn etwas gut läuft, mach mehr davon! Stelle lösungsorientierte Fragen und richte den Blick nach vorn“.

Katharina Dropmann und Paula Erber
(Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der Professur für Landschaftsarchitektur regionaler Freiräume, TU München)


Aktive, positiv gestaltende Partizipation in der Energiewende
Online Tool und Bürgerkerngruppen für mehr Spielräume  2025 AGK Energiewende Partizipation (pdf)

Wie kann die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken und zu gleichwertigen Landschaften beitragen? Dieser Frage widmeten sich Paula Erber und Katharina Dropmann.

Anhand der Forschungsprojekte PartEEnschaften und GrowFlowFly stellten sie Methoden vor, die eine frühzeitige und aktiv gestaltende Einbindung der Bevölkerung ermöglichen.

Aktiv gestaltend meint in diesem Zusammenhang die Befähigung von Bürgern eigene Gestaltungsideen einzubringen. Im Fokus standen dabei ein digitales Beteiligungstool und die Arbeit mit Bürgerkerngruppen.

Positivplanung meint: Statt bestimmte Räume als Standorte für erneuerbare Energieanalge auszuschließen, schlagen Bürger vor, welche Standorte sie sich vorstellen können.

Hilfreich ist dabei, dass sie online Karten und Luftbildaufnahmen der Region zur Verfügung haben und das Gebiet quasi „überfliegen“ können. So haben sie einen bessere räumliche Vorstellung und können sich spielerisch verschiedene Varianten ausprobieren und mit Kommentaren versehen. Die Anmerkungen werden nach und nach in „Anwendungsregeln“ übersetzt (etwa: „Erzeugungsanlagen sollten möglichst in der Nähe der Verbraucher sein“, „an Ackerstandorten Agri-PV-Möglichkeit bevrzugen“). Parallel können sie bei Bedarf Fragen stellen und erhalten von den Planern Hilfestellungen.

Dadurch sollen übertragbare, räumliche Gesamtkonzepte entwickelt werden, die regionale Akzeptanz fördern und zur Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen beitragen. Das stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt – im Sinne der Ideen von Alois Glück.